Der Untersberg ist ein ideales Objekt, um die verschlüsselten Inhalte der Sagen zu erforschen. Eine der zentralen Mythen ist die Sage von Lazarus Gitschner. In ihr steckt eine Fülle an Zahlenmystik, Geomantie und Spiritualität. Es scheint, dass sich darin das Wesen einer Region erschliessen lässt.
Zunächst einmal fällt auf, dass es verschiedene Sagen von Lazarus gibt, die nur einen geringen Unterschied besitzen. Einer liegt zum Beispiel in den verschiedenen Nachnamen jenes Bediensteten des Reichenhaller Stadtschreibers: Lazarus Gitschner Lazarus Günzner Lazarus Aigner Nirgends ist ein plausible Begründung dafür zu finden. In einer Version wird die Sage in der Ich-Form erzählt: “In diesem 1529sten Jahr bin ich Lazarus Aigner bey Herrn Stadtschreiber zu Reichenhall in Diensten gestanden” - vermutlich also sein richtiger Nachname. In der anderen Fassung wird über “Lazarus Gitschner” berichtet. Ich entdeckte in einem Wörterbuch, dass Gitschen eine altbekannte österreichische Bezeichnung für Mädchen in den Regionen Salzburger Land und Kärnten ist - also im Norikum, dem keltischen Königreich jener Region, das sich bis Ostbayern erstreckte. Bei meiner weiteren Recherche zu diesem Namen wurde ich allerdings auch in Südtirol fündig:
In der Gegend von Brixen will man die “Sealigen Gitschen” noch in unserem Jahrhundert beim “Egeter Trögl” singen gehört haben. Sie wiesen nächtlichen Wanderern gütig den Weg und halfen den Dirnen beim Heuwenden mit silbernen Rechen. Quelle: Inge Resch-Rauter - Unser Keltisches Erbe, Books on Demand, Norderstedt - S. 316
War der “andere” Nachname von Lazarus vielleicht ein verschlüsselter Hinweis auf ihm übermitteltes altes Frauenwissen? Eine andere Textstelle in der Sage bestärkt meine Vermutung: Lazarus bestieg also gleich am anderen Tag – dies war am letzten Unsre-Lieben-Frauen-Tag im Herbst – den Berg. Hier finden wir den Hinweis auf den Frauendreissiger - also die Zeit vom 15. August bis 14. September (laut Volkskundler Max Höfler). In der Sage vom Zeitportal, das sich alle paar Jahre an Maria Himmelfahrt (15. August) bei der Mittagsscharte öffnen soll, steht wieder der Frauendreissiger im Blickpunkt - doch diesmal der Beginn jener “Seelenkultzeit”, von der Erni Kutter (Der Kult der Drei Jungfrauen) schreibt und diesen Zeitraum als Totenkult definiert: (...) die Vorstellung vom Frauendreissiger als einer Zeit, in der die Toten “genährt” und auf die Wiedergeburt vorbereitet wurden (...). Beide Sagen deuten auf Zeitanomalien hin. Während er aber die Inschrift abschrieb, war der Abend hereingebrochen. .....wird fortgesetzt
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